First Contact


Was mache ich eigentlich hier?
Noch 10 Minuten. Ich glaube mir wird schlecht.
Ach Quatsch, reiß dich zusammen. Was soll schon passieren?
Es geht nicht darum, was passieren kann, sondern was gleich passieren wird.
Verstehst du den Unterschied? Nein, verstehe ich nicht. Wieso auch.
Es geht alles durcheinander, drunter und drüber.

Noch, wie lange? Oh Mann, noch 5 Minuten.
Wo ist er? Ich suche einen jungen Mann, so knapp über dreißig, 1.75 groß, sportlich, mehr weiß ich nicht von ihm, vielleicht sitzt er irgendwo und beobachtet mich? Oder ist es der der nun schon zum dritten Mal an mir vorbei läuft? Oder der ungewaschene Rocker in - zugegebenerweise - knackigen Lederjeans? Wo -verdammt- ist er? Hatte ich erwartet, daß er sich zeigen würde? Blödsinn, nach dem was er mir erzählt hat werde ich heute nichts von ihm sehen. Nichts. Nur hören und fühlen. Merkwürdige Art, das erste Rendezvous zu gestalten.

Ein Bienenschwarm im Bauch, noch zwei Minuten. Niemand zu sehen. Was mach ich nur? Soll ich weglaufen? Was hatte er noch geschrieben? 17 Uhr, mittlere Säule des Bahnhofsausgangs, für fünf Minuten zur Säule drehen und Augen zumachen. Ob er überhaupt kommt? Vielleicht mag er mich gar nicht, oder er hat einen anderen Termin? Oder, oder...

Noch 20 Sekunden. 20 Sekunden bis zur Ewigkeit. Also gut. Du hast es so gewollt, jetzt bist Du am Zug. Ich stehe an der mittleren Säule, wie gewünscht in rotem Pullover und schwarzer Jeans, keine Schminke, kein Schmuck, ich drehe mich um und lege mein Herz in Deine Hände (allerdings mußt Du es Dir von ganz unten holen: es ist mir so ziemlich in die Hose gerutscht...)

So, nun war es 17 Uhr. Ich stehe wie blöd mit geschlossenen Augen zwischen zwei Ausgangsportalen des Bahnhofs, um mich herum hetzen Leute, die Lautsprecher rufen eine Frau aus, ich schalte mein Bewusstsein aus. Mir ist jetzt alles egal. Habe ich zu Hause eigentlich das Licht ausgeschaltet? Ob meine Jeans gut aussieht? Ich glaube ich werde müde...

"Dreh Dich nicht um!" Eine Stimme, meint offenbar mich, nein ich werde mich nicht umdrehen. Keine besondere Stimme, einfach nur die eines Mannes. Endlich, er ist da. Nun bin ich gespannt wie es weitergehen wird...

"Dreh dich nicht um, schließe die Augen und vertrau dich ganz mir an. Schön daß du gekommen bist." Etwas weiches legt sich auf meine Augen, offenbar ein Schal oder so. "Das Halstuch darfst du behalten; trage es bitte beim nächsten Mal. Siehst du noch etwas?" Ich mache die Augen auf, nix zu sehen. "Nein," sage ich - " Es reicht, wenn du nickst oder den Kopf schüttelst. Kein Wort mehr als nötig. Du sprichst nur, wenn ich dich anrede, kapiert?" Ich nicke brav. Na, das kann ja toll werden.

"Gut. Gestatte, daß ich dir die Haare öffne - so, das sieht schon besser aus." Er steckt offenbar meine Haarspange in meine rechte hintere Hosentasche. Nichts weiter als ein bißchen Geld und einen Schlüssel durfte ich mitbringen, mehr nicht. Er hat so seine Vorstellungen, gut, das mache ich mit. "Sag mal, hörst Du mir eigentlich nicht zu? Ich hatte gesagt: Nichts außer Schlüssel und Geld! Und damit meine ich: Auch keine Armbanduhr!" Blödmann, wie hätte ich denn sonst wissen sollen wann es fünf Uhr ist, hmmm? Aber ich halte meinen Mund. Er löst das Armband und die Uhr verschwindet in meiner linken Gesäßtasche. Hoffentlich setze ich mich nicht auf sie...

"Bevor wir losgehen ein paar Regeln. Wie gesagt, du redest nur wenn du gefragt wirst. Hast du dir schon einen neuen Namen ausgesucht?" "Ja, Andrea, wäre das ok?" "Andrea ist gut. Ok, wenn wir zusammen sind bist du von nun an Andrea. Gut, also, du wirst keinen Versuch machen, etwas zu sehen, ok? Ich vertraue dir genauso wie du mir vertrauen kannst. Wenn du es mißbrauchst, ist sofort Schluß. Kapiert?" Hab ich. Ich nicke. "Gut. Dein Mund sollte eine Idee offen sein. Lege deine Hände auf deinen Rücken, halte dies Buch die ganze Zeit fest. Laß es nicht eine Sekunde los bis ich es dir abnehme, ok? Gut. Du gehst einen Meter vor mir, etwas rechts, so daß ich dich führen kann. Wenn du meine Hand nicht mehr im Nacken spürst, bleibst du automatisch stehen. Ansonsten richtest du dich einfach nach dem Druck meiner Hand. Wenn du stehen bleibst spreize deine Beine einwenig, die Füße nach außen, so! - Halte den Mund auf! Gut. Na, dann wollen wir mal. Sooo, hier entlang..."

Was dann kommt ist ein etwas abstruser Stadtbummel, der merkwürdigste den ich bis dahin gemacht habe. Blind gemacht steuert er mich durch die Fußgängerzone der Stadt, seine Hand in meinem Nacken, in Kaufhäuser, Treppe rauf, Rolltreppe runter, hier hin, dorthin, mal läßt er mich stehen und guckt sich etwas an, mal erzählt er mir von sich und fragt mich aus. Irendwie verstehen wir uns gut, solange ich mich an meine Rolle halte. Irgendwie fühle ich mich wohl, geborgen, vertraut. Alle Sorgen und Bedenken sind verflogen; diesem Mann vertraue ich, blind. Er geht nicht weiter als ich zu ertragen bereit bin, geht es langsam an, ich mag das. Interessant verspricht es zu werden, phantasievoll, ich bin sooo gespannt...